Die Ausstellung und die Publikation Der Ficker ist eine Hommage.
Es entspricht dem künstlerischen Agierens Franz Wests, nicht nur bei den Betrachtern und Benutzern seiner Kunstwerke (Passstücke, Möbel usw.) ein fantasievolles Reagieren zu provozieren. Er teilt sein Denken mit seiner Umgebung, entwickelt künstlerische Ansätze im Dialog mit anderen weiter und regt Galerist, Künstler und Denker zu eigenem Tun an. So hat sich im Laufe eines Jahres die Gruppe zusammengefunden – Clegg & Guttmann, Jörg Heiser, Benedikt Ledebur, Rudolf Polanszky, Johannes Schlebrügge, Klaus Thoman, Franz West – und diese Ausstellung und Publikation entwickelt.
Die Künstler beziehen sich mit dem Titel der Ausstellung und der Aufmachung des Buches, das zur Ausstellung im Verlag Schlebrügge.Editor erscheint, auf den Innsbrucker Schriftsteller und Verleger Ludwig von Ficker (1880-1967). Dieser gründete 1910 die Zeitschrift Der Brenner, die er bis 1954 herausgab. Er hatte engen Kontakt mit vielen bedeutenden Künstlern und Denkern seiner Zeit, wie Karl Kraus, Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Rainer Maria Rilke, Else Lasker Schüler und Georg Trakl, deren Entwicklung er auch als Förderer begleitete. Bekannt ist die Donation Ludwig Wittgensteins, der ihn mit der Aufteilung des zur Verfügung gestellten Geldes beauftragte, und berühmt ist das Diktum Karl Kraus’ über seine Zeitschrift: “Dass die einzige ehrliche Revue Österreichs in Innsbruck erscheint, sollte man, wenn schon nicht in Österreich, so doch in Deutschland wissen, dessen einzige ehrliche Revue gleichfalls in Innsbruck erscheint.” In der ironischen Bezugnahme auf eine Zeitschrift und ihren Herausgeber kann sich also ein ernster Hinweis darauf verbergen, dass sich eine Stadt ihrer kulturellen Leistungen zeitgemäß erinnern und sie, wo möglich, übertreffen sollte.
Diese Ausstellung soll nicht nur den Besuchern Gelegenheit zum Dialog mit den ausgestellten Werken und dem Möglichkeitsraum ihres gegenseitigen Konnotierens geben, sondern sucht auch von sich aus, mit dem kulturellen Umfeld Innsbrucks in Verbindung zu treten. Sie zeigt von Clegg & Guttmann eine Reihe von Portraits, die in Innsbruck entstanden sind und eine Gruppe der berühmten Fleisch Fotografien, von Rudolf Polanszky eine Reihe seiner großen Tafeln (1996-2004) Reconstructions aus Aluminium, Plexiglas und diversen anderen Materialien, sowie Videos, Stillmontagen und Ensembles aus seinen Grundlagenuntersuchungen (Der musikalische Affe) und von Franz West Objekte, die bekannte und neue Aluskulpturen als Modelle “collagiert” vorführen, neue Skulpturen, darunter einige der Nippes, die Installation Madley (1996/2004) und Collagen.
Wie es in einem Gespräch zwischen den Künstlern, das sich im Katalogbuch nachlesen lässt, zum Ausdruck kommt, kann die Collage als das Gestaltungsprinzip gelten, das die drei ausgestellten Werkgruppen verbindet. Nun besteht der Witz der Collage ja gerade darin, Gestaltungsprinzipien zu durchbrechen, und so erfährt sie naturgemäß bei den unterschiedlichen Künstlern eine jeweils ganz andere Ausprägung. Während Franz West die Hochglanzwelt billiger Zeitschriften und Werbebroschüren zerstückelt, um sie als Zitate in seiner Ästhetik zu kritischen Anmerkungen und Kommentaren umzuwerten, collagieren Clegg & Guttmann kunsthistorische und soziologische Bezugnahmen als Hintergrund und Horizont ihrer Fotografien, um die vermeintliche Einheit und Authentizität dieses Mediums aufzubrechen und wirkungsmächtig Trick und Rhetorik der Bildsprachen in Szene zu setzen. Rudolf Polanszky dagegen tritt, was die Collage betrifft, als Grundlagenforscher auf, der auf der Ebene opaker Materialien und durchkreuzter Schemata unsere Interpretationsmechanismen so zu reizen versucht, dass sie ihre Funktionsprinzipien preisgeben oder zumindest erahnen lassen. Ob es nun aber die Emergenz von Gestalten oder das Verstehen von Zitaten betrifft, im Grunde spielt alles, was uns in dieser Ausstellung in Bildern, Skulpturen und Modellen vor Augen geführt wird, mit jenem möglichen Kippeffekt, der die Interpretation offen lässt und uns auf uns selbst verweist. Oder wie es in Der Brenner-Ausgabe vom August 1920 aus einer Vorrede Jean Pauls abgedruckt steht: “Jeder verbessere und revolutioniere nur vor allen Dingen statt der Zeit sein Ich; dann gibt sich alles, weil die Zeit aus Ichs besteht. Er arbeite und grabe still mit seiner Lampe an der Stirn in seinem dunkeln Bezirke und Schachte fort …”