Titelgebend für die Ausstellung FLY ROOM sind Bilder mit Drosophila Fliegen. Mit farbloser Zuckerlösung malt Thomas Feuerstein Bilder, die als Fliegenfänger Insekten anlocken. Die Fruchtfliegen saugen an den Pinselstrichen, bleiben kleben und werden zu Bildpunkten für unterschiedliche Motive: Schule, Gefängnis, Mausoleum, Liebes- und Paradiesgarten. Feuersteins Motivwahl ist wohl intendiert, denn es sind Stationen, in denen Menschen für eine bestimmte Zeit ihres Lebens kleben bleiben, sich verändern und mutieren.

Die Ausstellung versammelt eine Auswahl neuer Arbeiten von Skulpturen, Bildern und Objekten, die ein installatives Ensemble präsentieren. In der atmosphärischen Überlagerung von Wohnraum, Büro und Laboratorium fungieren die Werke als Möblierungen, die unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen in sich vereinen: Lampen aus dem Zyklus CANDY LAMP ermöglichen die Photosynthese von Plankton und sind gleichzeitig Bioreaktor und Zimmerpflanze. Auf der molekularen Tischskulptur LABORANT gewinnt das mundgeblasene Glasobjekt CANDY MAN aus den Algenzellen den Zucker (Glucose) für die Fliegenbilder.

Thomas Feuerstein greift in den ausgestellten Arbeiten auf Modellorganismen der Biologie zurück und zeigt sie als moderne Fabelwesen. Die Fliegen und Algen erzählen Geschichten über den Menschen, die Feuerstein über die Wissenschaft hinaus mit künstlerischen Fiktionen, sozialen Utopien und politischen Szenarien verknüpft.

„Die Bilder, für die sich Thomas Feuerstein interessiert, sind (…) überindividuelle Modelle. Was ihn antreibt, ist eine Faszination für narrative Figuren oder bildhafte Vorstellungen, die die menschliche Gesellschaft über sich und das soziale Leben kollektiv entwickelt hat. Das können mythische Geschichten (…), oder eben die Taufliege „Drosophila“, die seit Ende des 19. Jahrhunderts der wissenschaftliche Modellorganismus schlechthin ist. Sie alle sind keine individuellen Erfindungen, sondern Ready-Made-Kunstwerke und Ready-Made-Organismen für soziologische Konstellationen, Erkenntnisweisen und kollektive Imaginationen. Es sind die Allegorien unseres Lebens. (…) Real ist die „Drosophila melanogaster“ nur etwa zwei Millimeter groß und doch einer der am besten untersuchten Organismen der Welt. Über 100.000 wissenschaftliche Publikationen sind ihm bislang gewidmet worden und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Drosophila war ursprünglich eine tropische und subtropische Art. Mit dem Bananen- und Sklavenhandel hat sich diese Fliege jedoch als sogenannter Kulturfolger über die ganze Welt verbreitet. Hierzulande erstmals beschrieben wurde sie 1830. Als geeigneten Versuchsorganismus nutzte man sie bereits 1901: Sie ist sehr einfach und billig zu züchten, sie hat eine kurze Generationsfolge von nur neun bis vierzehn Tagen, bis zu 400 Nachkommen und Mutationen sind leicht zu erkennen. Ab 1910 begann Thomas Hunt Morgan die Fliegen systematisch zu untersuchen und konnte mit ihnen bald die grundlegende Struktur der Chromosomen klären. 1933 erhielt er dafür den Nobelpreis. Nachdem viele andere Genetiker ebenfalls an diesem Modellorganismus geforscht hatten, gelang im Jahr 2000 diesbezüglich auch die erste vollständige Genom-Sequenzierung. Die Drosophila-Fliege war damit plötzlich zur biologischen Hauptreferenz des Menschen geworden. Als Nachfolger des Affen wurden sie zur Folie für menschliche Mutationen und Phantasmen schlechthin. Es waren ihre Gene, auf deren Grundlagen das Alphabet für eine neue Literatur entwickelt wurde, die heute und in Zukunft weitere abenteuerliche Texte über das Leben schreiben wird. Dass viele der 19.806 unterschiedlichen Gene der Drosophila erstaunliche Ähnlichkeit mit jenen des Menschen aufweisen, erscheint in einem Nebenzweig der vielen Geschichten wie eine kuriose Bestätigung des Horror-Klassikers ‚Die Fliege’.“

Vitus Weh, Die Taufliege als Menschenmodell. Zu den Arbeiten von Thomas Feuerstein, in: Andreas Braun (Hg.), Thomas Feuerstein. FLY ROOM, Innsbruck 2011, S. 7 ff.

 
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In his work as an artist, Thomas Feuerstein (born in Innsbruck in 1968) deals with present-day models of society. In the process he resorts e.g. to mythical stories, as the one about the Leviathan, or to the character of the Trickster, a sort of inverted Prometheus figure, independently making an appearance in the most various cultures.

The title of the exhibition at Galerie Thoman Vienna, Fly Room, derives from a number of pictures using Drosophila flies. The latter have become the scientific model organism of our day, to which over 100,000 scientific publications have been dedicated so far. The fruit fly, measuring some two millimetres, is easily and cheaply bred, has a short generation succession of just nine to fourteen days, produces up to four hundred eggs at a time, and mutations are easy to detect. In the year 2000, it was the subject of the first complete genome sequencing. The Drosophila fly thus, all of a sudden, had become the principal biological reference for us humans.

For the exhibition, Thomas Feuerstein, with the help of a colourless sugar solution, has painted a series of pictures that serve as deadly fly traps. The fruit flies suck on the brushstrokes, get stuck, and turn into pixels for different layouts: school, prison, mausoleum, garden of love and paradise garden – all of them stations that humans get stuck in, and stuck on, in which they change and mutate, for a certain period of their lives. The massed congregations of fruit bodies thus, in a sense, form post-Foucauldian Leviathans.

In addition to the fruit pictures, the gallery rooms are filled with a selection of new sculptures and objects. Within an atmospheric superimposition of living room, office and laboratory, the artistic ensemble serves as furniture, combining in itself various functions and meanings. Thus, lamps from the Candy Lamp series enable the photosynthesis of plankton and, at the same time, are bio-reactors and houseplants. While on the molecular table sculpture entitled Laborant the mouth-blown glass object Candy Man produces the sugar for the fly pictures from the cells of algae.

On the one hand, that is, Feuerstein depicts this key model organism of biology as a modern-day chimera, while at the same time incorporating it into a curiously self-feeding cycle. The flies and algae tell stories about human existence that the artist, going well beyond science, intertwines with artistic fictions, social utopias, and political scenarios.

Vitus Weh

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