Bruno Gironcoli ist die zentrale Künstlerpersönlichkeit in Österreich nach 1945 – mit seinem Werk und als einflussreicher Lehrer mehrerer Künstlergenerationen. Sehr früh trat er mit seinen Polyesterformen und raumfüllenden Installationen und den dazugehörenden Werkszeichnungen, die Freud’s Psychoanalyse und die Wiener Philosophie reflektierten, an die Öffentlichkeit. Sein Werk hatte großen, aber auch wechselseitigen Einfluss auf den Wiener Aktionismus und andere Künstlerpersönlichkeiten.

1977 wurde Gironcoli als Nachfolger Fritz Wotruba’s als Leiter der Bildhauerschule der Akademie der bildenden Künste, Wien berufen. Als von Politik und Öffentlichkeit empfundene Übergangslösung „kleine Persönlichkeit folgt auf große“ überraschte er sehr bald. Die Räumlichkeiten und Ressourcen der Bildhauerschule im Wiener Prater ermöglichten Gironcoli sein außerordentliches Werk – bis zu diesem Zeitpunkt nur in großen Werkszeichnungen (Mischtechniken) und wenigen Realisationen – weiter zu entwickeln und zu realisieren. Bis ca. 2002 entstanden ca. 40 Großskulpturen in Holz, Stahl, Polyester, die er mit Bronze- oder Silberfarbe überzog, um die im Stadium von Prototypen verbliebenen Skulpturen als fertige Objekte vorzuspiegeln. Diese Prototypen wurden fast ausschließlich in Wiener Museen gezeigt (Museum des 20. Jahrhunderts, Museum für angewandte Kunst), da sie wegen ihrer Fragilität und daraus folgender hoher Transportkosten kaum international gezeigt werden konnten. Nur einzelne Skulpturen wurden immer wieder in wichtigen Gruppenausstellungen gezeigt. Aufgrund der enormen Gusskosten erfolgten erste Realisierungen erst in den 1990er Jahren.

2003 präsentierte Prof. Kasper König als Biennale-Kommissär eine kleine Auswahl aus Gironcolis Werk. Diese Präsentation stieß auf große Anerkennung und Interesse bei Publikum, Fachpresse, Vermittlern und Museumsleitern.

Zur Skulptur Ohne Titel, 1973/1995 (Aluminiumguss, Stahl-/Glasvitrine, L 300 x H 220 x B 90 cm): Seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit ist das Thema „Vater-Mutter-Kind“ zentral in Gironcolis Werk, das er in einer Reihe von Skulpturen und Objekten bearbeitet und in zahlreichen Mischtechniken/Zeichnungen thematisiert. Es gibt sein persönliches, sein persönlich schwieriges Verhältnis zu Frau und Mutter wider. Gironcoli beschäftigt sich mit dem naheliegendsten und das ist ja immer noch das sexuelle Moment und die Mutter steht in seinem Werk irgendwo unmittelbar in dem sexuellen Verhaltenskontext. Schon in den frühen Polyesterformen z. Bsp. Kinderwagen 1964-66 greift er dieses Thema auf oder im Werk Murphy (Modell in Vitrine) 1968, das als Maquette für die große Vitrine gesehen werden kann. Weitere Vitrinen-Objekte folgen. Als zentrale Arbeit wurde diese Skulptur auch an der Biennale Venedig gezeigt.

In einem Gespräch mit Bettina M. Busse 2002 äußerte sich Bruno Gironcoli zu der Skulptur Ohne Titel, 1973/1995 wie folgt:

wie ich Ihnen sagte, hat mich eine Formation, eine formale Idee, etwas sicherlich sehr Bildhauerisches, das Gefühl der Körperdeckung, der Rückendeckung durch einen Schirm, eine Zeitlang beschäftigt.

Diese Rückendeckung war wie ein Schutz gedacht. Sie war formal das, was auch ein Sessel sein kann, die Rückenlehne eines Sessels, das, was rückwärts abschließt. Dieser Schirm, den ich dann gemacht habe, hatte die Eigenschaft an sich, dass er vor sich Raum ohne Person zuließ, gleich wie ein Sessel, doch mit der großen Imagination, dass hier jemand sein könnte. Ich habe lange Jahre überlegt, eine real geformte Puppe zu verwenden, habe aber immer wieder vor der Ausdeutung zurückgeschreckt.

Die Formation, so wie ich sie letzthin gemacht habe, also einen Schirm, der quasi vor sich gewisse Utensilien liegen hat, keine konkreten, sondern erfundene Gebrauchsgegenstände, die Anlaß zu gewissen Interpretationen solcher Manipulationen zuließen. Das war mir dann letzthin lieber als eine in erstarrter Form agierende Person. Das hat die Sache offener gelassen.

Die Schirmmotivation ist sicherlich durch Einfluß von Francis Bacon entstanden, so etwas hat der Herr Bacon schon lange gemacht. Die frühen Bacon-Figuren waren solche Schirme. Es gibt ein ganz berühmtes Triptychon, das diese Figuren mit so einem Schirm zeigt. Dieser Schirm dürfte es wohl auch sein, der mich zu meinem Schirm geführt hat. Nur war die Interpretation der Geschichte, in der der Schirm vorkommt, eine andere.

Das Mutterbild als die Beschirmende ist ja eine gebräuchliche Metapher im Hintergrund, das hat mich dazu geführt, diesen Schirm dann doch zu realisieren im Zusammenhang mit diesen Schienen, diesem Raumwinkel und einem Baby.

Diese Schienen und der Raumwinkel sind sicherlich wiederum meine persönlichen Erinnerungsrequisiten. Meine Vorstellung, wie ich mir einen Raum fetischiere: als elektrisch durchfluteten Moment. Auch sehr literarisch, das ist mir klar. Aber ich meine und bilde mir ein, ich habe das sehr bildhauerisch gelöst.

Auf jeden Fall sind dieser Schirm und die Requisiten schon ein Mutterbild, das möchte ich hier noch einmal bekräftigen. Ich glaube, dass dieses Mutterthema schon aus meinem Versuch, Wirklichkeit abzubilden, resultiert, dadurch dass ich vor der Natur gezeichnet habe. Diese Bezogenheit zur Zeichnung liegt in diesem hobelartigen, in Vitrinen befindlichen Gegenstand auch vor. Er ist eigentlich die letzte Formulierung nach einer in der Natur vorkommenden Zeichnung, die ich gemacht habe. Ich habe eine Reihe von sitzenden weiblichen Figuren, das war immer meine ehemalige Frau, gemacht, die dann in mir dieses Mutterbild in Erinnerung gerufen hat.

Ich glaube eben, dass diese gezeichnete ehemalige Gattin, die Deformation dieses Naturvorbildes letzthin, dann eine Darstellungsform, die ganz etwas anderes als realistisch zu nennen ist, hervorgebracht hat.

Subversiv sind mir dann die von mir getroffenen Deformationen weit näher als das so genannte reale Abbild, das mir eigentlich, wenn ich heute so überlege, so überhaupt nichts gibt. Ich muß immer dazu sagen: für mich, denn ich war in dem Spannungsfeld realer und nicht-realer Darstellung und dieses Spannungsfeld hat mich eben beschäftigt. Die Beschäftigung mit diesen Dingen und ihrem Aussehen und ihrem Gefühlswert auf uns Menschen, das hat der Realismus nie berührt. Das habe ich so für mich entwickelt, als eine persönliche Krücke, um eben Dinge zu erfinden.

Das Abstrakte ist schwieriger, unzugänglicher, etwas Vielmeinendes, etwas Vielmeinen-Könnendes, etwas, was auch nur aus sich heraus lebt. Die Verbindung zum Naturbild war mir schon eine Reizschwelle, so dass ich etwa ein Ensemble „Mutter-Kind“ nennen konnte, oder eine Figur mit „Mütterlich“ bezeichnete.

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